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Die Fabel (lateinisch fabula, „Geschichte, Erzählung, Sage“) bezeichnet eine in Versen oder Prosa verfasste, kürzere Erzählung mit belehrender Absicht, in der vor allem Tiere, aber auch Pflanzen und Dingliches oder fabelhafte Mischwesen menschliche Eigenschaften besitzen (Personifikation) und auch menschlich handeln (Bildebene). Die Dramatik der Fabelhandlung zielt auf eine Schlusspointe hin, an die sich meist eine allgemeingültige Moral (Sachebene) anschließt. Durch die leichte Erkennbarkeit der Lehre unterscheidet sich die Fabel von anderen Formen didaktischer Dichtung wie dem Gleichnis oder der Parabel.
In Sumer wurden Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. Erzählungen wie die Fabel vom klugen Wolf und den neun dummen Wölfen als Lehrtexte in den Schulen verwendet. 1927 übersetzte der Altorientalist Erich Ebeling antike vorderasiatische Fabeln ins Deutsche.
Fabeln sind in unterschiedlichen Sprachen aus Mesopotamien, Anatolien und der Levante überliefert. Die zweisprachigen hethitisch-hurritischen Fabeln (hethitische Fassung ca. 1400 v. Chr., hurritische Überlieferung ca. 16.–17. Jahrhundert v. Chr.) gehören zu den wichtigsten Fabelsammlungen des Altertums. Aus dem alten Ägypten sind keine Fabeltexte, aber Bilder von Tierfabeln (oder Tiermärchen) bekannt. Die Ninurta-Uballitsu-Fabelsammlung (Assyrien, 716 v. Chr.) ist die älteste, datierte Sammlung, deren Herausgeber bekannt ist.
Bekannt sind die altindische Fabelsammlung Panchatantra, sowie deren Übersetzung und Bearbeitung ins Arabische (vermittelt über das Persische) Kalīla wa Dimna und schließlich die Fabeln des Arabers Luqman.
Als Begründer der europäischen Fabeldichtung gilt Äsop, der um 600 v. Chr. als Sklave in Griechenland lebte. Äsops Fabeln fanden über Phaedrus, Babrios und Avianus Eingang in das mittelalterliche Europa.
Die älteste überlieferte Fabel findet sich in Hesiods Lehrgedicht Werke und Tage. In der Antike wurde die Fabel nicht als literarische Gattung angesehen. Sie wurde häufig als rhetorisches Element verwendet. So schreibt Aristoteles in seiner Rhetorik über Beispiele in Reden und nennt die Fabel von Äsop (als fingiertes Beispiel) und das historische Ereignis. Beispiele für die Verwendung in der lateinischen Literatur finden sich bei Horaz (Die Fabel von der Stadtmaus und der Landmaus. Sermo II,6 Zeile 79–105) und bei Livius (Die Fabel vom Magen und von den Gliedern.).
Erst Phaedrus schrieb Fabelbücher, die vor allem durch eine Prosabearbeitung, das Romulus-Corpus, verbreitet wurden.
Als eine mit der Fabel verwandte epische Großform mit anthropomorphisierten Tieren als handelnden Figuren entstehen ab dem 11. Jahrhundert in Deutschland Tierepen wie die Ecbasis captivi der Reineke Fuchs oder der Ysengrimus. Als ältester Fabeldichter in deutscher Sprache kann der mittelhochdeutsche Dichter Der Stricker gelten, dessen Werke ab Mitte des 13. Jahrhunderts datiert werden. Die älteste deutschsprachige Fabelsammlung ist wohl Ulrich Boners Edelstein (etwa 1324). Unter dem Titel Dialogus creaturarum (Gespräch der Geschöpfe) wurde eine um 1400 entstandene und bis ins 16. Jahrhundert anonyme Sammlung von 122 Fabeln in lateinischer Sprache bekannt, die ins Niederländische und Französische übersetzt und ab 1480 in Gouda, Antwerpen, Köln und Stockholm mit Holzschnittillustrationen auch im Druck.
Die Fabelliteratur verbreitete sich seit Beginn der Frühen Neuzeit in ganz Europa als eine standesübergreifende populäre Literaturgattung. Philipp Melanchthon (1497–1560) empfahl 1528 die Lektüre der Fabeln Äsops gleich nach dem Erwerb der Lesefähigkeit für die zweite Klasse einer für alle Kinder im Kurfürstentum Sachsen als verpflichtend vorzusehenden Lateinschule. Martin Luther (1483–1546) erklärte in der Vorrede zu seiner deutschen Übersetzung der Fabeln des Äsop, dass die „Fürsten und Herrn“ die Wahrheit, die sie sonst von keinem Weisen hören und ertragen möchten, „unter einer lustigen Lügenfarbe und lieblichen Fabeln kleiden“ und „durch Thierer und Bestien mund“ zu hören bekommen könnten, warnt dann aber doch, dass dennoch selbst Äsop „umb der Warheit willen ertödtet sey/ und jn nicht geholfen hat/ das er in Fabeln weise/ als ein Narr / solche Warheit die Thiere hat reden lassen/ Denn die Warheit ist das unleidlichste ding auff Erden.“
Mit der Ausgabe von Les Fables du tresancien Esope Phrigien, bei der eine französische Paraphrase jeder Fabel des Aesop durch ein Emblem aus einem kurzen französischen Lemma, einem Holzschnitt als Ikon und einem vierzeiligen französischen Epigramm eingeleitet wird, erfand Gilles Corrozet (1510–1568) 1542 ein neues Format, das als „emblematische Fabel“ bezeichnet wird. In zahlreichen Auflagen etwa mit den sorgfältiger gestalteten Holzschnitten von Bernard Salomon (1506–1561) oder in eigenständigen lateinischen Nachdichtungen wie der des Gabriello Faerno (1510–1561) von 1567 fand die emblematische Fabel reiche Nachfolge und beförderte die weite Verbreitung der Fabel im 16. und 17. Jahrhundert als ethikdidaktische und politisch-kritische Bild- und Literaturgattung in ganz Europa. Bald schon folgten niederländische Nachdichtungen wie die des Eduard De Dene (1505–1576) mit den erzählerisch reichen Radierungen des Marcus Gheeraerts des Älteren (etwa 1520/1521 bis nach 1586 und vor 1604) von 1567, die von Philipp Galle (1537–1612) opulent bebilderte anonyme französischsprachige Fabelsammlung von 1578 und die niederländische Fabeledition Joost van den Vondels (1587–1679) von 1617 mit den noch einmal szenisch gesteigerten Radierungen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren besonders die französischsprachige Nachdichtung Pierre Millots von 1646 nach Äsop und Jean de La Fontaines (1621–1695) Anthologie großenteils selbst verfasster Fabeln von 1668 in ganz Europa bekannt.
Im deutschsprachigen Raum erreichte die Fabeldichtung während des 18. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Die schlichte lehrhafte Fabel wurde nun als Opposition zum abgelehnten ‚Schwulst‘ des höfischen Pathos stilisiert. Angestoßen wurde die deutsche Fabeldichtung vor allem durch Antoine Houdar de la Mottes (1672–1731) Discours sur la Fable (1719). La Mottes Fabelbuch wurde von Dichtern wie Daniel Wilhelm Triller (1695–1782) zum Ausgangspunkt genommen, um Anschluss an die deutsche Fabeltradition des Humanismus zu finden. Erst in den 1740er-Jahren setzte mit Christian Fürchtegott Gellert (1715–1769) auch eine stilistische Rezeption der französischen Fabeldichtung, insbesondere derer von Jean de La Fontaine, ein. Charakteristisch für die Fabeln La Fontaines ist u. a. der Verzicht auf ein belehrendes Epimythion zugunsten von Ironie. Dies wurde von den deutschen Fabeldichtern übernommen. Ziel war es nun, den Leser indirekt zum richtigen Urteilen zu erziehen, statt ihm explizite Lebensratschläge zu geben. Die Fabeln des mittleren 18. Jahrhunderts sind stark selbstreferenziell und weichen vom klassischen Fabelpersonal ab: Es gab jetzt mehr Menschenfabeln, und auch die Zahl der Singvögel in den Fabeln wuchs an. Dies ist auch bei Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) zu beobachten. Lessing plädierte für eine Rückkehr zum antiken Fabelmodell und schrieb seine Fabeln (1759) durchgängig in Prosa. Er ist der bedeutendste Referenzautor für die heutigen Fabeldefinitionen.
François-Joseph Terrasse Desbillons SJ (1711–1789) verfasste in der Tradition der europäischen Antike wieder lateinische Fabeln.
Eine reiche Fabeltradition hat sich auch in Polen entwickelt. Zu nennen ist hier besonders Ignacy Krasicki (1735–1801).
In Deutschland haben Matthias Claudius (1740–1815), Franz Grillparzer (1791–1872) , Heinrich Heine (1797–1856), Wilhelm Busch (1832–1908), Franz Kafka (1883–1924), Wolfdietrich Schnurre (1920–1989) und Reiner Kunze (* 1933) vereinzelt Fabeln veröffentlicht.
In Russland ist Iwan Andrejewitsch Krylow (1769–1844) der bedeutendste Fabeldichter.
In den 1950er-Jahren reaktivierte vor allem James Thurber (1894–1961) (Fables of Our Time und New Fables of Our Time) die seit dem Biedermeier marginalisierte Gattung.
Zu nennen sind auch die Fabeln des Südamerikaners Augusto Monterroso (1921–2003).
Anamythion oder Promythion: Ein vorangestellter Lehrsatz (eher selten)
Epimythion: Ein nachgestellter Lehrsatz (vgl. „Die Moral von der Geschicht’“).
In der Regel enthält eine Fabel entweder ein Anamythion oder ein Epimythion. Ein solcher Lehrsatz wird manchmal gar nicht explizit genannt, damit der Leser ihn selbst herausfindet oder weil er ganz offensichtlich ist. Die Fabel dient bei vorgestelltem Lehrsatz als plastische Verdeutlichung einer Lehre, im häufiger vorkommenden nachgestellten Lehrsatz ist sie die Geschichte, die den Leser auf ein Problem stößt.
Tierfabeln sind Fabeln, in denen Tiere wie Menschen handeln und menschliche Eigenschaften haben. Dabei kommen manche Tiere besonders oft vor, wie beispielsweise der Löwe, der Wolf, die Eule und der Fuchs.
Diese Tiere haben meist Eigenschaften, die sich in fast allen Fabeln gleichen. Der Fuchs ist dort der Schlaue, Listige, der nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Die Eule ist die weise und kluge Person. Die Gans gilt als dumm, der Löwe als mutig, die Schlange als hinterhältig, die Maus als klein. Fabeltiere stellen bestimmte Charakterzüge von Menschen dar.
In der Tierfabel wird der personifizierte Charakter des Fabeltieres durch einen charakteristischen Namen unterstrichen.
Name | Tier | Charakter
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Anmerkungen; Literaturbeispiel
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Adebar | Storch | stolz | |
Adelheid | Gans | geschwätzig | anderer Name: Alheid; „Zu guter Letzt“ von Wilhelm Busch |
Arbnora | Igel | introvertiert | |
Äugler | Kaninchen | vorlaut, frech | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Bellyn | Widder | ängstlich, schwach, aber klug | „Der Wolf und das Schaf“ von Gotthold Ephraim Lessing |
Bokert | Biber | fleißig und arbeitsam (arbeitswütig) | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Boldewyn | Esel | störrisch, faul | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Braun | Bär | stark, kriegerisch, tumb, unklug | auch: Meister Petz; „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Elster | Elster | diebisch, eitel | |
Ermelyn | Fähe | listig und schlau | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Gieremund | Wölfin | böse, dem Bauch gehorchend | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Grimbart | Dachs | bedächtig, ruhig | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Henning | Hahn | eitel und schlau | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Hinze | Kater | eigenwillig | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Hylax | Hund | treu und gutherzig | „Der Wolf und der Schäfer“ von Gotthold Ephraim Lessing |
Isegrim | Wolf | dem Bauch gehorchend | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Kratzefuß | Henne | eitel | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Lamb | Lamm | unschuldig, wehrlos | |
Lampe | Hase | siehe unten bei Meister Lampe | |
Leo, Leu, Nobel | Löwe | stolz, mächtig, gefährlich | Der Löwe und die Maus von Äsop |
Lupardus | Leopard | gerissen | |
Lütke | Kranich | bürokratisch | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Lynx | Luchs | vorsichtig | |
Markart | Häher | vorlaut | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Martin | Affe | eitel, intrigant | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Meister Lampe | Hase | vorlaut und ängstlich | |
Meister Petz | Bär | gutmütig, naiv | „Der Tanzbär“ von Christian Fürchtegott Gellert |
Merkenau | Krähe | naseweis | „Der Löwe mit dem Esel“ von Gotthold Ephraim Lessing |
Metke | Ziege | meckernd, stur, unnachgiebig | „Die zwei Ziegen“ von Albert Ludwig Grimm |
Murner | Katze | schläfrig | „Leben und Schicksale des Katers Rosaurus“ von Amalie Winter |
Nobel, Leo, Leu | Löwe | stolz, mächtig, gefährlich | „Der Löwe und die Maus“ von Äsop |
Petz | Bär | siehe oben bei Meister Petz | |
Pflückebeutel | Rabe | eitel und dumm, besserwisserisch, diebisch | „Vom Fuchs und Raben“ von Äsop |
Reineke | Fuchs | schlau und hinterlistig | „Matten Has“ von Klaus Groth |
Reinhart | Fuchs | siehe Reineke | |
Swinegel | Igel | schlau | „Der Wettlauf zwischen dem Hasen und dem Igel“ von Ludwig Bechstein |
Tybbke | Ente | dumm | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
Wackerlos | Hündchen | affektiert | „Reineke Fuchs“ von Johann Wolfgang von Goethe |
allgemein und Sammlungen
nach Tierart
Beispiele:
Fabeln sind Lehrstücke über menschliches Denken und Verhalten. Im Handeln von Tieren oder Gegenständen kann jeder seine eigenen Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen gespiegelt wiedererkennen, ohne sich persönlich beleidigt oder bloßgestellt fühlen zu müssen. Die literarische Form eignet sich daher besonders gut zum Einsatz im pädagogischen Feld und wird vom Deutschunterricht und von der Verkehrserziehung entsprechend didaktisch und methodisch genutzt:
Im Deutschunterricht werden verbreitete Schwächen wie Überheblichkeit, Geltungsbedürfnis, Machtgelüste oder Schlitzohrigkeit entlarvt. In der Verkehrsfabel lassen sich Fehlverhaltensweisen im Verkehr wie Vorteildenken, Rücksichtslosigkeit, Aggressivität oder Sachbeschädigung thematisieren und in ihren Auswirkungen darstellen, aber auch sozialen Tugenden wie Partnerschaft und Hilfsbereitschaft als konstruktiven Haltungen gegenüberstellen.
Aufgrund ihrer einfachen Struktur eignen sich Fabeln neben der Analyse und Interpretation auch zur kreativen Eigengestaltung nach selbst erlebten Vorkommnissen. So entwarf ein dreizehnjähriges Mädchen nach einer entsprechenden Strukturvorgabe die folgende Fabel:
Hansi und Franzi und Susi am Bus
An der Bushaltestelle begegneten sich Hansi und Franzi.
„Heute sitze ich hinter dem Fahrer!“ meinte Hansi. „Das werden wir erst noch sehen, das ist mein Platz!“ erwiderte Franzi.
Während sie sich noch beschimpften und prügelten, stieg Susi in den Bus und setzte sich hinter den Fahrer. Der Bus aber fuhr ohne die beiden ab.
Lehre: Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte.
Dyalogus creaturarum. Dat is Twispraec der creaturen. Gheraert Leeu, Gouda 1481 (Digitalisat in Internet Archive).